10. Dezember




Unser Adventskalender soll die Wartezeit bis zum Weihnachtsfest verkürzen und die Vorfreude auf ein besinnliches Fest steigern.

10. Dezember

Beitragvon Cerberus » 10.12.2011, 00:00

Eingesand von Uschi

Dieser Artikel von Christine Gebhard erschien in der Zeitung " Mein Hund " Mai und Juni 2000

BERRY (eine wahre Geschichte)

Es war der 26. April 1989. Berry stand hinter der Zwingertüre eines Tierheimes. Seine bernsteinfarbenen Augen blickten durch mich hindurch, sein schwarzes Fell war staubig und stumpf. Er ließ sich zu keinem Wedeln herab und dennoch wusste ich: diesen Hund oder keinen. Er hieß Berry und war angeblich knapp über ein Jahr alt. Auf meine Frage, ob er irgendwelche Probleme hätte, erhielt ich ein Nein. Er würde nur eine Zeit brauchen, um sich einzugewöhnen und eine Wohnung würde er nicht kennen. Schließlich war er ja immer im Zwinger eines Tierheimes.

Man erzählte mir, dass Berry mit drei Monaten ausgesetzt wurde, ein Jahr lang in einem anderen Tierheim war und erst seit drei Wochen nun in diesem. Damals war ich naiv genug zu glauben, was man mir erzählte.
Berry selbst aber " erzählte " mir eine andere Geschichte.

Sein damaliger seelischer Zustand lässt sich mit wenigen Worten beschreiben : Berry war in gewisser Weise verrückt. Er hatte sich selbst verloren und ich habe bis zum Kennenlernen von Berry noch nie selbst so deutlich erlebt, was das Wort " Problemhund " wirklich bedeutet.

Manchmal, da wirkte er zerbrechlich und verletzlich wie eine gefrorene Blüte aus Eis. Ungefiltert wurde er dann vom Leben überflutet und er war nur noch ein Bündel hysterisch beißende Angst.

Manchmal, da wirkte er hart und kalt wie aus Stein. Dann erreichte ihn nichts mehr von dieser Welt. Seine Mimik gefror und seine Bernsteinblicke weit fort in eine andere Zeit. Dann ging er stur geradeaus, an Hunden und Menschen vorbei, als ob es sie nicht gäbe. In solchen Momenten wirkte er entsetzlich alt und verlebt. In solchen Momenten war er unberechenbar, weil es wie die Ruhe vor dem Sturm war, der jeden Augenblick mit aller Gewalt explodieren konnte. Dann war nur noch das Chaos in ihm und er war wild, hektisch und aggressiv. In diesen Zeiten bedrohte er Hunde und Menschen und duldete keine Nähe.

Er hatte nichts weiches, nichts Junges an sich. Er hatte sich in gewisser Weise vom Leben und von den Menschen verabschiedet. Er fraß kaum, er spielt nicht, er war nie unbeschwert fröhlich. Er war nicht fähig eine Bindung einzugehen und so war ich für ihn zwar da, aber ich war für ihn eine gerade geduldete Anwesende, die ihm nichts zu sagen brauchte. Mehr nicht. Er lebte neben mir her und nicht mit mir.

Die Anfänge

Damals hatte ich vier Mäuse und sie lebten zu ihrem eigenen Schutz den ersten Sommer auf dem Balkon. Berry raste über mehrere Tage wie ein Wahnsinniger gegen die Glasscheibe, immer wieder. Er fegte durch meine Wohnung wie ein Orkan. Er versuchte, in die Regale zu klettern und räumte sie dabei aus, er sprang über Stühle und auf meinen Schreibtisch. Er vergrub sein Futter unter dem Teppich und sah stundenlang aus dem Fenster.

Er zog stark an der Leine und ich stürzte des Öfteren, er durchlebte Wutausbrüche und Angstattacken. Über drei Monate lang litt er an nervösem Brechdurchfall und fast jede Nacht raste ich mindestens zweimal mit ihm hinaus. Er meldete sich von Anfang an, wenn er hinaus musste. Eine erstaunliche Leistung für einen angeblichen Zwingerhund. Dennoch wachte ich oft zu spät auf und hatte die Sauerei auf dem Teppich. Phänomenal, was ein Hund, der kaum fraß, trotzdem in sich so produziert.

Als ich ihn nach einigen Wochen das erste Mal von der Leine ließ, lief er davon und ich raste ihm hinterher. Es sollte nicht das letzte Mal sein, er nützte fast jede Gelegenheit, die sich ihm bot. Warum sollte er im Grunde genommen auch bleiben? Bei mir, die er nicht wirklich akzeptierte ? Bei einem gefüllten Fressnapf, der ihn nicht interessierte ? Die Welt rief ihn und er folgte. Dennoch fand ich ihn immer nach wenigen Minuten wieder.

Stundenlang saß ich nur da und weinte, weil ich am Ende meiner Kräfte war. Ich träumte heimlich von einem einfachen, lieben, netten Hund, den man stolz vorführen konnte. Stattdessen gingen Hundebesitzer und Spaziergänger auf die andere Straßenseite und ich wurde, mehr als ich ertragen konnte, auf häufig üble Weise beschimpft. Und das alles für einen verrückten Hund, der mich nicht einmal akzeptieren wollte. Der auch mich angegriffen hätte, hätte ich mich falsch verhalten.
Da war ich nun mit meinem Tierheimhund. Aus Überzeugung holte ich ihn mir ganz bewußt und nicht einen Welpen. Damals kam ich mir vor, als hätte ich gegen ein ungeschriebenes Gesetz gehandelt. Ein Hund aus dem Tierheim, Ja, aber ein gestörter Hund ? Nein. Er paßte nicht ins Bild des armen Hundes, über dessen Vergangenheit man Horrorgeschichten erzählen konnte. Ich kannte seine Vergangenheit nicht. Er war nicht aus dem Süden , er hatte keine sichtbaren Verletzungen, er war nicht dankbar, nicht mitleiderregend. Er war nur ein deutsches Hundeschicksal, wie es sich täglich irgendwo in unserem Lande heimlich und hinter vorgehaltener Hand abspielt. Und ich hatte gewagt, dieses einheimische Drama auf die Straße zu führen, wo es jeder sehen konnte. Ich hatte gewagt, einen aggressiven Hund genau zu der Zeit zu übernehmen, als die Presse das Thema " Kampfhund " entdeckte.

Jeder, der meinem Berry über den Kopf streicheln wollte, wurde mit einem tiefen und ernsten Knurren auf Abstand gehalten. Schirm- und Stockträger wurden wütend verbellt. Welpen, die meinen Warnungen zum Trotz zu Berry gelassen wurden, attackierte er sofort.

Der Beginn eines zweiten Lebens

Ich wollte ihm die Welt zeigen, taunasse Wiesen am frühen Morgen, freie Felder und Seen. Wir fuhren in die Wälder und in die Berge. In der Abgeschiedenheit der Natur fanden wir allmählich zueinander. Hier war er einfach ein verrückter Hund, der seine ganze Eigenheit ausleben konnte. Er begann ausgelassen über Felder zu laufen, sich im Dreck zu wälzen und in Pfützen zu suhlen.
Er verletzte sich häufig, weil er im Kopf schneller rannte , als seine Beine mitkamen. Aber manchmal konnte ich es jetzt in seinen Bernsteinen sehen, das Lachen einer glücklichen Hundeseele, die wieder zu atmen beginnt. Nur für kurze, zarte Momente, bevor sie wieder in die Ferne schweiften. Aber sie waren da, die kleinen Zeichen der Veränderung.

Es dauerte lange, bis er endlich begann, mir zu vertrauen und von mir wirklich etwas anzunehmen. Es dauerte lange, bis er endlich damit aufhörte, Menschen zu bedrohen und noch länger, bis er mit Hunden zurechtkam.
Lange Zeit war jeder Spaziergang mit ihm nur eine einzige Anspannung, aber ich trainierte jeden Tag mit ihm das Leben. Und meine Bemühungen zeigten langsam Erfolg. Berry fand immer mehr zu sich selbst zurück. Insgesamt dauerte es zwei Jahre, bis Berry zuverlässig " gesellschaftstauglich " wurde und es waren für mich die in gewisser Weise härtesten zwei Jahre meines Lebens.

Berry würde mit seiner Hektik und Wildheit, mit seinem starken Dominanzstreben, seiner großen Unabhängigkeit niemals ein einfacher und handlicher Hund werden, auch seinen Dickschädel hat er behalten.

Seine Art, wie er inzwischen mit Hunden umgeht, ist phänomenal. Er ist einfach nur souverän. Er strahlt so viel Selbstsicherheit und Ruhe aus, dass er bis vor kurzem nie angegriffen wurde. Über lästige Welpen steigt er einfach hinweg, Imponier verhalten anderer Rüden ignoriert er so perfekt, dass jeder Möchtegern keinen Angriff wagt. Er beginnt nie Streit.

Ein Welpe zieht ein

Im Juli 1991 kam dann der angeboren menschenscheue Welpe Jabberwocky zu uns, der in Berry den besten Ziehvater gefunden hatte, den sich ein Hundekind nur träumen kann. Berry war unendlich geduldig. Und für mich war Jabberwocky das unverdorbene, glückliche junge Leben, dem ich all das geben konnte, was Berry in seiner Kindheit nicht hatte: Sicherheit, Gewaltlosigkeit und ein liebevolles Zuhause. Wer noch nicht selbst einen erwachsenen Hund mit trauriger Vergangenheit bei sich aufgenommen hat, kann vielleicht nicht verstehen, dass Jabberwocky für mich damals weit mehr war, als der niedliche Welpe. Berry konnte ich mir immer nur vorstellen, wie er wohl ausgesehen haben könnte. Ihn konnte ich aber nicht beschützen, als er es gebraucht hätte. Ihm konnte ich keine Kindheit mehr geben. Jabberwocky aber stand von Anfang an unter meinem Schutz und er sollte niemals erfahren, wie Menschen wirklich sein konnten.
Später nahmen wir die 10jährige Katze Fuzzi bei uns auf, die beide Hunde ohne Schwierigkeiten akzeptierten. Jabberwocky liebt alle Tiere, die ich in unseren Verbund aufnehme, aber Fuzzi war so etwas wie seine große Liebe. Als sie vier Jahre später an Herzversagen starb, wurde sie von beiden Hunden sehr vermisst und noch lange gesucht. Sechs Monate später kam Lady zu uns, eine Katze, die bereits fünfmal ihr Zuhause verloren hatte. Nach nur einem halben Jahr starb sie an einem Hirntumor. Eigentlich wollte ich keine Katze mehr, der Schmerz über zwei so nahe liegende Todesfälle war zu groß. Aber dann wurde ich gefragt, ob ich denn nicht einer armen Katze ein Zuhause geben möchte und so zog eben die taube Katze Meggie bei uns ein. Jabberwocky hat in ihr wieder eine Freundin gefunden und Berry lässt sie aus seinem Napf fressen.
Cerberus
 

von Anzeige » 10.12.2011, 00:00

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