Moppelchen




Diese Tiere haben es trotz aller Bemühungen leider nicht geschafft.

Moppelchen

Beitragvon hubert » 17.10.2012, 05:59

Moppel ist den Weg gegangen.
Der Fluß meiner Tränen ist noch nicht getrocknet.
Ich sehe noch nichts - meine Brille hat keinen Scheibenwischer.
Die Geschichte von Moppel wird folgen!
Hubert
hubert
 

von Anzeige » 17.10.2012, 05:59

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Ein erfülltes Leben ging zu ende

Beitragvon hubert » 18.10.2012, 21:10

Augen fürs Überleben

Wer war eigentlich Moppel? Wahrscheinlich eine Hündin! In letzter Konsequenz eine Wette darauf abschließen kann ich mir aber verkneifen. Gut, mit höchst anzunehmender Wahrscheinlichkeit handelte es sich bei dem Wesen namens Moppel um eine Hündin, hochgradig autistisch veranlagt und doch mit magischen Kräften ausgestattet. Um nicht als völliger Vollpfosten abgehandelt zu werden, bedürfen diese Einlassungen einer inhaltlichen Ausgestaltung.
Irgendwann im Sommer des Jahres 2001 machte ich wieder einmal einen kurzen Stopp an einen Tempel der Griechischen Esskultur – für Kenner auch unter dem Namen Kantina bekannt. Kurz vor dem Flughafen war mir schon mehrmals dieser Salmonellenspielplatz durch seine gewagte Architektur aufgefallen. Bretter, alte Planen, Bänder, Stricke und alle Größen von Nägeln trotzen den Gewalten der Natur und bildeten ein herrliches Plätzchen im Schatten. Die Autos knatterten fast durch die Friteuse, was aber dem gesamten Ensemble nichts anhaben konnte. Gut gelaunt ließ ich mich vorsichtig in einen Stuhl sinken, die Vorsicht war bei den Plastikstühlen ein Gebot der Vernunft, und dachte an die Hunde, die gerade im Laderaum einer Maschine den Weg nach Deutschland absolvierten. Ich schaute in den flimmernden, blau weißen Himmel, sah auch das Flugzeug und hoffte, dass die eddingemarkerte Aufschrift auf den Transportboxen „Wir fliegen in eine lebenswerte Zukunft“ nicht zur leeren Worthülse verkommen wird. Zufrieden senkte ich meinen Blick und starrte unverhofft in zwei tiefschwarze Augen. Cirka 20m von mir entfernt lag ein Hund, was aber in Griechenland nicht so ungewöhnlich ist. Diese Augen aber waren der totale Wahnsinn. Alle wichtigen Empfindungen glaubte ich in diesen Augen zu erkennen: Vorsicht, Angst, bittend, gleichgültig, eine unbeschreibliche Traurigkeit, aber auch Selbstbewusstsein. Der Kopf hatte sich um diese Augen herum entwickelt und in idealer Weise auch deren Form angenommen. Dieser Blick war das Elixier für ihr Überleben; das wurde mir sofort klar. Langsam stand ich auf und noch langsamer ging ich zu ihr hin. Moppel bewegte sich keinen Zentimeter, kein Zwinkern unterbrach ihre Fixierung. Ich kniete mich hin und hielt ihr ein Stück Fleisch vor die Schnüß. Die Augen versanken in den Meinen, keine Unterbrechung, und ohne das Stück auch nur mit einem klitzekleinen Blick zu würdigen, öffnete sich langsam das Moppelmaul. Keine Bewegung nach vorn, kein Zwinkern, nur ein offener Mund und dieser wahnsinnige Blick in mein Innerstes. Also legte ich ihr das Stück Fleisch in den Rachen, der Mund schloss sich wieder völlig autark und ohne den Blick von mir zu lassen begannen die üblichen Kaubewegungen. Langsam stand ich wieder auf und betrachtete mir das Herzchen von oben. An diesem Hund war alles rund, selbst der Stummelschwanz. Schwarz – weiß, wuschlig, verfilzt und rund. Der Kantinabesitzer, der diesen Abenteuerspielplatz selbst zusammengezimmert hat, klärte mich über dieses Wesen auf: also, die würde niemals betteln, was seine Besucher auch als lästig empfinden würden, sie liegt schon einige Jahre an der Bude, sie wirft regelmäßig, aber die Welpen werden niemals erwachsen, sie ist vorsichtig und nähert sich keinen Griechen, sie frisst die alten Brötchen, die im Fleischsaft von ihm getränkt werden und sie hat meine Staatsbürgerschaft sofort erkannt. Er war nämlich perplex, dass sie sich von mir ein Stück Fleisch in den Rachen schieben ließ. Plötzlich war ich richtig stolz auf meine Herkunft; so einfach kann man Nationalstolz entfachen.
Das war der Beginn einer sehr einfachen, aber wundervollen Freundschaft. Wir sahen uns mindestens vier- fünfmal in der Woche, ich gab ihr eine Büchse und füllte den Wassernapf auf, sie wurde gestreichelt und vom Filz befreit und eines Tages überraschte sie mich mit vier Moppelkindern. Sie war halt rund und so konnte ich mit der mir damals innewohnenden Unerfahrenheit die Trächtigkeit nicht erkennen. Es dauerte nicht lange und die kleine Familie dezimierte sich. Überfahren, überfahren und als nur noch zwei übrig waren, überfuhr aus Versehen der Budenbesitzer Nr.3. Ich hatte die Schnauze gestrichen voll und packte Moppel und Kind in mein Auto. Das Kind wurde in eine lebenswerte Zukunft vermittelt, Moppel wurde kastriert, therapiert, durchgeimpft und kam wieder zurück an die Kantina.
Und so vergingen die Jahre. Längst konnte Moppelchen aus Millionen von Motorgeräuschen das unsrige herausfiltern und kam aus dem Gestrüpp gewatschelt. Eines Tages schrie mich eine Griechin an, was ich mit dem Hund machen würde. Nachdem die Kastration und der letzte Welpe an ihr Ohr vorgedrungen waren, erzählte sie mir, dass diese Hündin seit Jahren von ihr versorgt wird. Wir mussten beide lachen und spätestens jetzt war allen Beteiligten klar, weshalb diese Hündin so rund war. Wir rechneten das Nahrungsangebot mal zusammen: 5 große Büchsen/Woche von mir, 5 mal/Woche eine Büchse von der Griechin, die Brötchen 5mal/Woche von Kosta (der Budenbesitzer), und die Nahrung wegen der ihr innewohnenden Magie. Später sagte mal jemand, dass Moppelchen mit bloßer Telepathie Würstchen fliegen lassen kann. Diese Flüge verlaufen aber höchst kontrolliert ab und fanden regelmäßig im Kaubereich der Dicken ihr Ende. Es waren diese Augen, die ohne zu betteln bitten konnten.
Im Jahr 2006 gab ich Moppelchen ein Versprechen. Auch wenn man im Laufe eines Lebens nicht alle Versprechen wird einhalten können, dieses habe ich zu 100 % erfüllt. Drei Tage vor meinen geplanten Abflug fuhr ich deshalb zu Moppel an die Kreuzung. Kein Hund war da. Ich rief nach ihr, suchte das vermüllte Umfeld ab, fragte die Griechen in den benachbarten Firmen – kein Moppel. Ich suchte und suchte, Hysterie machte sich breit. All die Jahre hat sie überlebt. Selbst als das Ministertreffen in Nea Marmaras statt fand und alle Hunde auf dem Weg vom Flughafen bis ins Luxushotel, immerhin 120 km, für Berlusconi und andere Niederungen der menschlichen Art, ermordet wurden, hat Moppel ihre Vorsicht lebenserhaltend eingesetzt. Zerknirscht und wütend startete ich den Motor und schaute ein letztes Mal in den Rückspiegel. Unter einen abgestellten Fahrzeug lag etwas Schwarz-Weises. Wütend und glücklich packte ich Moppel ins Auto und am 09.09.2006 verließen wir Griechenland für immer.
Der Zufall wollte es, dass nahezu zeitgleich ein anderer Hund von uns, vermittelt wurde. Balkan überlebte eine Vergiftung und kam eine Woche nach uns in Deutschland an. Er wurde in eine Gartensiedlung, in ein kleines Paradies, vermittelt und lernte nach einigen Monaten Moppel kennen. Was als vorübergehende Unterkunft angedacht war, wurde ihr Zuhause. Moppel lebte wieder ihr griechisches Leben. Selbstständige Spaziergänge, warten auf die fliegenden Würste und ein treuer Beschützer. Alle kannten Moppel und alle mochten diesen friedlichen, lieben und runden Hund.
Wenige Stunden vor ihren Schlaganfall stand Moppel plötzlich vor mir. Sie schaute in die Ferne, an mir vorbei. Heute weiß ich, dass sie sich verabschieden wollte. Ihre wundervollen Augen schauten in ein anderes Paradies und befanden es für akzeptabel.
„Machs gut, du dicke runde Moppel“ !
hubert
 

Beitragvon Meike » 18.10.2012, 21:42

Jetzt hab ich feuchte Augen :(
Machs gut du schlaue Maus..du hast alles richtig gemacht im Leben.
Lieber Hubert..hast du vielleicht ein Foto von dieser tollen Hundedame?
Du bist zeitlebens für das verantwortlich, das du dir vertraut gemacht hast.

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Beitragvon Sabine » 18.10.2012, 22:23

Eine so schöne zu Tränen rührende Geschichte.
LG Sabine und Noah & Julchen
Egal wie tief man die Messlatte der menschlichen Intelligenz hängt, jeden Tag kommt einer vorbei, der ohne weiteres aufrecht darunter durchlaufen kann!

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Sabine
 
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Beitragvon Cerberus » 18.10.2012, 22:24

Machs gut Moppelchen, du hast die richtigen Menschen mit deinen Augen und deinem Wesen verzaubert. So konntest du wenigstens einen Teil deines Lebens in gut behüteter Sicherheit verbringen.
Cerberus
 

Beitragvon franzi » 19.10.2012, 06:17

Tolle Geschichte, bin sehr gerührt. Lass Dich auch da oben nicht unterkriegen, Du "kleiner Moppel".

Gruß Franzi
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Beitragvon saiiky » 20.10.2012, 20:08

Oh Hubert, das tut mir leid.
Dein moppel war wohl was sehr besonderes und eure Beziehung.
Du hast so schön geschrieben, ich hatte fast das Gefühl dabei gewesen zu sein!
Gute reise moppel !!!
Liebe Grüße
Yvonne

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Beitragvon Jochem » 20.10.2012, 20:15

Moppel hatte was,sie hat dich angeschaut,und sagte,Eh,haste nicht nee Tüte Pommes mitgebracht?
Ein grosser Verlust für Hubert und alle die die Moppel lieb hatten.
Liebe Grüsse Jochem mit Temmy und Polly
Bild

Wenn Hunde nicht in den Himmel kommen,möchte ich wenn ich sterbe dorthin wo sie sind. ( Will Rogers )
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