8. Dezember




Unser Adventskalender soll die Wartezeit bis zum Weihnachtsfest verkürzen und die Vorfreude auf ein besinnliches Fest steigern.

8. Dezember

Beitragvon Cerberus » 08.12.2011, 00:00

Eingesandt von Tina

Mohamedchen

Gute zwanzig Jahre ist es her.
Meine Söhne besuchten das Gymnasium, keine Arbeit mehr mit Grundschulnachhilfe bei ausländischen Schülern, meinen Laden hatte ich noch nicht und so hielt ich Ausschau nach einer neuen Aufgabe.
Eines Morgens entdeckte ich einen Artikel in der hiesigen Tageszeitung:
Der Kinderschutzbund sucht händeringend ehrenamtliche Helfer, die Langzeitpatienten im Krankenhaus betreuen.
Sofort fühlte ich mich angesprochen.
Einen Anruf bei der zuständigen Stelle und schon fuhr ich in die Kinderklinik nach Barmen, um einen kleinen Patienten zu besuchen.
Zuerst gab es ein Vorgespräch, meine Ernsthaftigkeit wurde geprüft und die Frage: Wie viel Zeit können Sie regelmäßig hier verbringen.
Zwei Vormittage gab ich an.

Und dann ging es los.
Ein kleiner Patient brauchte noch eine Besucherin und das sollte ich sein. Mehr wusste ich nicht.
Durch lange Gänge kamen wir in die Frühgeborenen-Station der Klinik.
Hände waschen, Kittel anziehen und der Dame folgen.
Und dann sah ich ihn.
Mohamed, ein Jahr alt, ein behindertes Baby.
Riesige dunkle Augen musterten mich, ein zu kleiner Körper für ein Kind in diesem Alter, eine Nasensonde ging durch sein Gesichtchen, der Kopf wirkte zu groß.
Aber er war rührend, er war niedlich, er war hübsch, er wirkte vereinsamt, er brauchte Besuch und mein Herz flog ihm zu.
Mein Mohamedchen, so nannte ich ihn, war das fünfte Kind einer Marokkanischen Familie. Der Vater arbeitete als Gastarbeiter in Wuppertal, seine Frau hatte ihn besucht und dabei viel zu früh diesen kleinen Jungen bekommen. Nach Wochen der Intensivpflege war klar: Das Kind ist schwerstbehindert. Er hatte einen Wasserkopf, wo oft der Druck zu groß wurde und man Wasser abziehen musste, einige Organe funktionierten nicht richtig, seinen Schluckreflex hatte er durch die dauernde künstliche Ernährung verloren.
Seine Mama musste nach Marokko zurück, der Vater stand dem behinderten Kind sehr hilflos gegenüber
Das Krankenhaus gab mir im Umgang mit dem kleinen Kerl einen riesigen Spielraum. Es war allen klar ( außer mir ) dass das Mohamedchen wohl nicht sehr alt werden würde und er es so schön wie möglich haben sollte.
Also wurde in mein Auto wieder ein Kindersitz eingebaut, ein Sportwagen gekauft und der Junge und ich verbrachten zwei Vormittage in der Woche draußen.
Alle die mich kennen, wissen, dass ich auch sehr gern verschönernd tätig bin.
Mohamed wurde komplett ausgestattet. Da gab es die buntesten Sachen, die so gut zu seiner dunklen Haut passten. Rote Jacken, gelbe Mützen, kleine Schlafanzüge.
Wir beide mochten uns.
Nach einiger Zeit merkte man eine Änderung an ihm.
Vorher hatte er viele Stunden allein in seinem Bett verbracht. Und jetzt passierten neue Dinge mit ihm.
Wir sangen: Backe, backe Kuchen und Wie das Fähnchen auf dem Turme. Wir übten Nein, nein und klatschen in die Hände. Er hatte richtig Spaß an diesen Dingen.
So ging es viele Monate. Immer drei Stunden am Dienstag und am Freitag.
In den Ferien holte ich ihn zu uns nach Hause und meine Söhne kümmerten sich um ihn.
Aber um dreizehn Uhr zur nächsten Mahlzeit musste er wieder im Krankenhaus sein.
Ich merkte schon, dass es ihm oft nicht gut ging. Mal krampfte er mitten in der Stadt und wir sausten ins Krankenhaus.

Und dann passierte das für mich unbegreifliche. Ich kam ins Krankenhaus und mein Mohamedchen war nicht mehr da.
Die Eltern hatten beschlossen, ihn für immer mit nach Marokko zu nehmen
Fassungslos stand ich in dem leeren Zimmer. Mein kleiner Junge, bei Leuten, die er kaum kannte, ohne die medizinische Versorgung, die er brauchte.
Es dauerte nur zwei Wochen, da rief mich das Krankenhaus an: Mein Mohamedchen war in Marokko gestorben.
Knapp zwei Jahre ist er geworden. Ich habe sehr um ihn getrauert und heute kommen mir noch die Tränen, wenn ich von ihm erzähle.
Meine Söhne haben von dieser Erfahrung profitiert. Wie dankbar und glücklich war ich über diese gesunden Kinder. Was zählte eine schlechte Schulnute, gegen ein fröhliches Kind.

Ich habe noch einmal versucht, ein Langzeitkind zu betreuen, aber es ist mir nicht wieder gelungen.
Das Erlebnis saß noch zu tief.
Cerberus
 

von Anzeige » 08.12.2011, 00:00

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