2. Dezember




Unser Adventskalender soll die Wartezeit bis zum Weihnachtsfest verkürzen und die Vorfreude auf ein besinnliches Fest steigern.

2. Dezember

Beitragvon Cerberus » 02.12.2011, 00:00

Eingesandt von Sabine

Gerry - Teil 1
Weil heute Abend aus einem anderen Zusammenhang die Sprache auf ihn kam und ich merkte, dass ich zwar noch etwas "verstockt" über ihn erzähle, aber nicht mehr sogleich in hemmungslose Tränen ausbreche, denke ich, ist es an der Zeit, nochmal beim Schreiben hier in meinem stillen Kämmerlein final in Tränen auszubrechen.

Ich verliebte mich auf den ersten Blick in ihn, über ein Handyfoto. Dieser Blick war einfach nur hinreißend.
Dieses Foto schickte mir mein damaliger Ehemann, der zwei Wochen im Thüringschen war zur "Einweisung" seines zukünftigen Blindenführhundes. Ich hatte Gerry nie zuvor gesehen, unterhielt mich aber schon per Lautschaltung am Handy mit ihm, damit er sein zukünftiges Frauchen schon mal gehört hatte. Was´n Quatsch, der hat sicherlich gedacht, was ein Gequake.
Dann kam der Tag, als mein Hund im Anhang mit Herrchen, also seinem zukünftigen blinden Hundeführer und der Trainerin hier vor der Haustür hielten. Es stiegen aus - und genau in dieser Reihenfolge - Trainerin, mein Mann und Gerry. Gerry sprang auf mich zu, an mir hoch und hinterließ einen dicken Sabber auf meiner schwarzen Bluse. Bevor ich meinen Mann begrüßte oder die Hundetrainerin, rief ich meinem Ex zu: "Uwe, wir haben einen Hund."

Was dann interfamiliär folgte, will ich gar nicht in Einzelheiten schildern, das würde den Rahmen sprengen. Kurz: Gerry war nicht sein Hund sondern meiner. Jedes Wehren dagegen war zwecklos, mein Verstand wusste zwar, dass er (laut Krankenkasse) ein Hilfsmittel ist, dass seine Beziehung zu Uwe die eigentliche sein sollte und ich höchstens Hilfestellung geben sollte, aber alles war zwecklos. Hauptsächlich deswegen, weil der liebe Uwe trotz seiner multimorbiden Unzulänglichkeiten (blind, Diabetiker, aufgrund dessen viele Folgeerkrankungen, in diesem Zusammenhang am schwerwiegendsten die ständig offenen Füße) so berechnend war, mich mit diesem Hund halten zu wollen.

Ich hatte diesen Mann wirklich mal geliebt, ursprünglich, weil ich ihn bewunderte, wie selbstbewusst er trotz Behinderung in seinem Leben umging, er wollte aber nur versorgt sein und sich seiner Bequemlichkeit widmen, das merkte ich leider erst später, da war Gerry aber schon da.

Ende vom Lied: ich stand morgens - trotz Vollzeitberufstätigkeit - früh auf, ich raste mittags nachhause, ich kam abends nachhause, ging erst mit Gerry, dann einkaufen, kochen, Wohnung aufräumen und säubern, abwaschen und etc pp. Wenn ich dann so um halb elf soweit war, mich auf das Sofa sinken zu lassen, stand schon wieder Gerry da und wollte letzte Pipirunde. Und wisst ihr was, ich habe das genossen!! Nicht den Haushalt oder die Versorgung meines Mannes sondern jede Minute mit Gerry. Obwohl ich alle Aufgaben bezüglich des Hundes übernommen habe, die eigentlich seine gewesen wären, auch als Blinder.
Gerry sah natürlich mich als Bezugsperson an, er machte alles mit mir, egal, ob ich mich mit Freunden getroffen habe oder später, als die Beziehung zu Uwe schon eigentlich keine mehr war, aber wir noch zusammen wohnten, fuhr er mit mir in Urlaub an die See. Wir beide haben das sehr genossen.

Die Krankheit meines Ex machten teilweise auch Krankenhausaufenthalte außerhalb Kassels erforderlich. Ich war noch so doof, ihm mit Gerry hinterherzufahren, damit der Hund die Beziehung zu ihm nicht verliert. Da war aber die Ehe schon am Ende.

Es war wie bei vielen Familien mit Kindern, ich hielt aus, um Gerry nicht zu verlieren. Zwischendrin erfuhr ich dann noch so einiges durch Zufall, was mein lieber blinder Ehemann so alles an Altschulden mit sich rumschleppt, finanzieller Art. Er dachte, er könne sich mit mir als Berufstätiger sanieren, bei vielem andern schlug ja der Blindenbonus zu.
Alles nicht so schlimm, aber dass er mir seine wahren Einkünfte verschwiegen hat, die ich natürlich auch nicht hinterfragte, weil ich vertraute ja, das schlug dem Fass den Boden aus. Jetzt komme ich doch etwas detaillierter.

Ich legte mich krumm, arbeitete, sorgte in jeglicher Hinsicht für den Lebensunterhalt, überzog das Konto und er hatte 1000€ Taschengeld im Monat, von denen ich nichts wusste. Ich brauche wohl nicht zu erwähnen, was eine Zahnarzthelferin verdient. Nicht sehr viel mehr netto im Monat auf jeden Fall.

Egal, Gerry war mein Leben. Nach unserer Trennung wohnte Uwe noch ein paar Wochen hier, er beteuerte immer wieder, dass ich weiterhin 2. Bezugsperson für Gerry sein sollte. Endlich hatte Uwe eine Wohnung, was ich aber nicht durch ihn sondern durch eine Tante von ihm erfuhr. Von ihr erfuhr ich auch, dass er "mir so richtig einen reinwürgen" wollte, Gerry sollte weg. Soviel zu seiner Beziehung zu ihm. Ich stellte ihn zur Rede. NEIN, das wäre nicht so, Gerry solle nur zur Nachschulung, weil er ja krankheitsbedingt nicht so viel mit ihm laufen konnte.

Meine Ex-Schwiemu wohnt im Haus neben mir. Meine letzte Begegnung mit Gerry war sehr schmerzlich. Ich wollte morgens zur Arbeit fahren als Uwe auf dem Weg zu seiner Mutter mit freilaufendem Gerry (Schultern höher als der Kopf) des Weges kam. Wir hatten uns 2 Wochen nicht gesehen. Er sah mich, rannte mich um, ich fiel in den Schneematsch, ich glaube, wir heulten beide vor Freude, und ich!!! musste ihn zu seinem Herrchen schicken. Er ging auch erst brav und dann ging ein Ruck durch seinen Körper. Er spannte sich total ersichtlich an so nach dem Motto: jetzt oder nie und jetzt heule ich doch, lief entgegen Anweisung über die Straße zu meinem Auto an den Kofferraum und alles sprach aus ihm: NIMM MICH JETZT BITTE MIT.
Das war unsere letzte Begegnung.
Eine Woche später hörte ich durch einen Freund, dass er zur "Nachschulung" abgeholt wurde. Ich schrieb abends der Trainerin eine SMS, dass es nicht Gerry´s Schuld war, dass er eine Nachschulung bräuchte. Nachts um halb eins rief sie mich an, dass Gerry nicht zur Schulung wieder bei ihr sei sondern endgültig und zur Weitervermittlung.
Den nächsten Tag war ich den einzigen Tag im Jahr 2008 krank.

Hier könnte ich Schluss machen, aber nach viel, viel Trauer und einer Sabine, die aufgrund der Trauer, (und zwar um den Hund und nicht etwa wegen der verlorenen Ehebeziehung,) innerhalb kurzer Zeit 25 kg verlor, begann eine neue Geschichte. Nur noch kurz zu Gerry. Er hat eine neue Familie in Berlin. Die Frau ist blind, er geht mit ihr zur Arbeit, mit dem Mann joggen und mit den Kindern im Sommer in der Ostsee baden. Das weiß ich von der Trainerin. Ich habe versucht, mit dem neuen Frauchen über die Trainerin Kontakt aufzunehmen, aber es kam nichts zurück. Ich kann es verstehen, es ist jetzt ihr Hund und ihr neues Familienmitglied. Ich wollte auch nur wissen, dass er glücklich ist. Aber das ist er wohl. Hunde sind Opportunisten.
Cerberus
 

von Anzeige » 02.12.2011, 00:00

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